Mittwoch, 22. Juni 2016

Richtfest – Muss so etwas sein?

Ein Richtfest – muss das sein? Diese Frage haben wir uns in den vergangenen Wochen und Monaten öfters gestellt. „Ja klar, dass gehört doch dazu!“ war die Antwort, die wir von Freunden und Bekannten zu hören bekamen. Doch warum eigentlich? Aus Tradition? In Wikipedia heißt es dazu:
  
„Der Brauch geht auf rituelle Formen der Zinszahlung und der Abgeltung von Arbeitsleistungen zurück, wie sie im Mittelalter nicht ungewöhnlich waren. Die festlichen Zusammenkünfte, die zum Abschluss der einzelnen Arbeiten abgehalten wurden, müssen als rechtsverbindliche symbolische Handlungen betrachtet werden, für die der Kontakt zwischen Untertan und Obrigkeit kennzeichnend war. …….. Im 15. und 16. Jahrhundert waren Getränke und Speisen zum Beginn oder Ende eines Bauabschnittes zudem Teil des Handwerkerlohns.“
  
"Hurra" - Richtfest.
Aha, das Richtfest war also ursprünglich eine Art bzw. ein Teil der Bezahlung. Damals also durchaus sinnvoll. Und heute? Heute zahlen wir einen Haufen Geld dafür, dass eine Firma uns hier ein Haus hinstellt. Dafür gibt es einen Zahlplan und wir bekommen pünktlich zum Zahlzeitpunkt eine Rechnung, welche wir natürlich innerhalb des Zahlungsziels auch pünktlich begleichen. Von einer Bezahlung in Naturalien (also Mampf und Suff) steht jedoch nichts in unserem Bauvertrag. Also scheint der einst sinnvolle Grund heute nicht mehr zu existieren.
  
„Aber ein Richtfest ist doch auch dafür da, den beteiligten Firmen einmal Danke für die bisherige Arbeit zu sagen.“ , hörten wir gleich als Einwand. Aha – Danke sagen also. Danke, für ein Garagenfundament was nicht meinen Vorstellungen und dem Fundamentplan entspricht und nun noch geändert werden muss. Danke, für x Planänderungen aufgrund von Schusselfehlern des Planungsbüros. Danke, für Bauverzögerungen aufgrund zu eng gelegter Lüftungsrohre – man hätte ja vorher nur mal mit dem Statiker reden müssen. Dafür, dass wenn ich es nicht rechtzeitig gesagt hätte, der Elektriker seine Kabel nicht in die Decke bekommen hätte ohne russisches Roulette mit den Lüftungsrohren zu spielen. Danke, für das Bauen eines Dachüberstandes, der nicht sein soll und nun wieder ab muss – nur weil man mit falschen, nicht genehmigten Plänen arbeitet. …. Ihr merkt schon, ich kann mich also bisher gar nicht genug bedanken.
   


„Aber Fehlen passieren doch nun einmal beim Bau, das ist doch nicht weiter schlimm und bei fast jedem Haus so was neu gebaut wird.“ Oh, oh .. das spricht aber nicht gerade für diese Berufsgruppe. Sorry, wenn ich etwas bezahle, dann erwarte ich eine fehlerfreie Ausführung. Egal wo und bei welchem Job. Fehler toleriere ich nicht. Nicht hier auf der Baustelle noch sonst wo. Oder fändet Ihr es super, wenn die Bahn mal eben nach einem veralteten Fahrplan fährt? Besonders toll sicher für Berufspendler. Oder findet Ihr es toll, wenn Ihr im Restaurant statt des Steaks ein Schnitzel bekommt? Oder wenn der Fluglotze bei seiner Arbeit schlampen würde? Oder wenn der Chirurg statt des Blinddarms die Galle entfernt? Oder einfach auch nur der Busfahrer vergisst an Eurer Haltestelle zu halten? Nein – das würde alles wohl niemand akzeptieren. Warum soll man also beim Bau eine Ausnahme machen und alles nur als "halb so wild" ansehen und sich dann noch bedanken? Mir fällt dazu kein Grund ein. Euch?
  
„Und beim Richtfest kann man ja auch seine Nachbarn kennen lernen.“ Stimmt, kann man. Kann ich aber auch so. Schließlich arbeiten wir schon seit Wochen an unserem Garten und sind so bereits oft ins Gespräch mit unseren Nachbarn gekommen. Mittlerweile bekommen wir wasser von einem unserer Nachbarn bis wir eigenes anliegen haben. Zwischenzeitlich konnten wir einen Sprenger einer Nachbarin benutzen, als unser defekt war. Nachbarschaftshilfe halt – entstanden durch den „Plausch über den Gartenzaun“. Ich gebe aber insofern recht, dass eine Party mit den Nachbarn und die Feier auf gute Nachbarschaft durchaus Sinn und Spaß macht. Aber bitte … doch nicht mitten in der Bauphase. Um den Nachbarn den Baufortschritt zu zeigen? Den kann man beim vorbei gehen live sehen. Um den Nachbarn die Raumaufteilung zu zeigen? Schlecht möglich, wenn die Hälfte aus Trockenbau besteht, der noch nicht gebaut ist. Warum also nicht mit so einem Fest warten, bis wirklich was zu sehen ist? Bis man den Nachbarn auch etwas „handfestes“ zeigen kann.
   
Warum haben wir also ein Richtfest gemacht? Wir hätten es ja auch ablehnen können. Die Antwort ist ganz einfach. Im Internet findet man viele… ganz viele Horrorgeschichten von beleidigten Bauarbeitern die ohne Richtfest unmotiviert arbeiten und dann schludern oder sogar mit Absicht Schikanen für die Bauherren einarbeiten. Beispiele gefällig?:
  
„Eine kreuzweise geschlitzte Plastikfolie im Kamin, so dass er nie zieht.“
  
„Ein Sprühschlauch im Fassadenputz eingearbeitet, unauffällig mit der Regenrinne verbunden, in Form eines weiblichen Geschlechtsteils zum Beispiel. Um allen zu zeigen, was für eine F... du bist. Das Bild erscheint dann bei jedem regen.“
   
„Wer am Richtfest spart, wird in seinem Haus nicht wirklich wohnen können.“
  
„Eine, oder mehrere Flaschen, mit der Öffnung nach außen in die Mauern eingebaut, sorgen beim leisesten Wind für wundervolle heulende und brummende Geräusche.“
  
„Ein als Knauser verschrieener Bauherr wird auch von den nachfolgenden Gewerken 'bestraft'. Die Zimmerleute sind lange weg, wenn die der Putzer in den Feinputz pinkelt (riecht bei feuchten Wetter dann 'würzig').“
Natürlich werden die meisten Handwerker Profis sein und sich lediglich ihren Teil denken. Aber ein kleines Restrisiko bleibt und da der Erfindungsreichtum bekanntlich groß ist, wollten wir uns diesem Risiko einfach nicht aussetzen.
  
Es gab also ein Richtfest. Bereits ab 14 Uhr war ich auf der Baustelle, um alles vorzubereiten. Da es seit den Morgenstunden durchweg geregnet hatte, musste nun erst einmal alles drin aufgebaut werden. Die Dachdecker hatten am Vormittag wenigstens das Dach mit einer Folie abgedeckt, so dass es nun auch nicht mehr rein regnete. Auch hier übrigens nochmal Danke. Danke dafür, dass die Balken bereits mehrere Tage dem Regen ausgesetzt waren und genug Zeit hatten Wasser aufzunehmen. Warum der Dachdecker den Holzstapel vor dem Haus nicht mit abgedeckt hat und dieser sich nun weiter voll saugen kann, verstehe ich ebenfalls nicht. Fakt ist nur, dass unsere Dachform während der Bauphase sehr Feuchtesensibel ist und man alles tun sollte, damit möglichst wenig Wasser an die Bauteile kommt.  Aber was weiß ich schon – bin ja nur der Bauherr und unwissender Depp.
  
Wenigstens ist es jetzt erstmal halbwegs dicht.
Alles vorbereitet - es kann los gehen.
Wie dem auch sei. Pünktlich 16 Uhr war alles aufgebaut und vorbereitet und der Regen hatte auch aufgehört. Nach und nach trudelten Handwerker und Nachbarn ein. Nun konnte es losgehen. Natürlich wieder mit Brauchtum. Als erstes wurde ein Richtkranz aufgestellt. Wozu der gut ist? Keine Ahnung – Tradition halt. Danach sprach der Dachdecker seinen Segen. Lustig dabei war, ich stand nur zwei Meter daneben und hab lediglich die Hälfte verstanden. Ich glaube nicht, dass die Gäste unten mehr mitbekommen haben. Nachdem der Dachdecker fertig war und ein Glas Sekt auf dem Boden zerdeppert hatte – warum dieser Brauch auch immer gemacht werden muss, ich weiß es nicht- war nun ich an der Reihe.
  
Die Gäste treffen ein.

Drei Hanseln auf dem Dach.
Richtspruch - auch Hillibilli genannt.
Unkraut jetzt auch auf dem Dach!

Nach der Tradition muss der Bauherr den letzten Nagel einschlagen. Aha, den letzten Nagel also. Warum nur soll ich aber an einer stelle, wo kein Nagel sinnvoll ist nun einen Nagel ins Holz kloppen? Aus Tradition? Ich kloppe also einen Nagel ins Holz. Im Grunde wird die Statik des Balkens damit sogar beeinträchtigt. Sicher natürlich nicht so, dass das Haus einstürzen würde. Aber eben völlig unnötig. Warum passen die Handwerker ihre dämlichen Traditionen nicht etwas an die modernen Gegebenheiten an? Warum schlage ich sinnlos einen Nagel irgendwo ins Holz, anstatt an einer sinnvollen Stelle wirklich einen Dachbalken mit einer Schraube am Haus zu befestigen? Es ist wie beim ersten Spatenstich, der ebenso sinnlos ist, da kein Mensch mehr mit dem Spaten ne Baugrube aushebt. Auch da hätte man anpassen können und den Bauherren die erste Schaufel mit den Bagger baggern lassen können. Aber ich schweife ab.
  
Nageln.
Ein völlig sinnloser Nagel.
Nachdem der Nagel nun im Holz war und ich noch zwei, drei Worte sagen sollte (mehr waren es wohl dann auch wirklich nicht) war das Fest eröffnet und der gesellige Teil des Nachmittages begann. Wenigstens gab es als kleine Entschädigung für den Richtfest Hokuspokus jetzt Geschenke von der Familie und den Nachbarn. Von Baumarktgutscheinen, Gutscheine für Gartencenter, Sekt, Pflanzen bis hin zum klassischen Brot und Salz waren viele schöne und sinnvolle Sachen dabei. Dafür ein echtes Dankeschön von uns. Wir haben uns sehr darüber gefreut. Und so kam es dann auch, dass wir uns viel mit den Nachbarn unterhalten haben, während die Kinder (unsere und die der Nachbarn bzw. Familie) draußen im Matsch spielten. Pünktlich zur Essenszeit kam dann auch noch die Gulaschkanone und versorgte alle Gäste mit Linseneintopf oder Wildgulasch, so dass wir bis in den frühen Abend auf der Baustelle verbrachten. Ich blieb sogar noch etwas länger, da gerade als ich gehen wollte noch zwei Nachbarsfamilien kamen, die es nicht früher geschafft hatten. So wurden noch ein paar Bier getrunken und etwas über den Bau und die Pannen am Bau der Nachbarn philosophiert. 
  
Essen fassen.
Zwei Gerichte zur Auswahl.
Buddeln im Matsch macht Spaß.
Pfützen ziehen Kinder magisch an.
Welches Resümee ziehen wir jetzt aus der Richtfestgeschichte. Ein Richtfest ist eine Sache, die aus der Vergangenheit kommt und sehr an Traditionen hängt. Leider haben es die Handwerker versäumt die Tradition den modernen Gegebenheiten anzupassen. Dann hätte es zumindest mir etwas „gegeben“.  Um Handwerkern Danke zu sagen, sollte man –so finde zumindest ich- auf ein Richtfest verzichten und lieber ein Fest am Ende der Bauzeit ausrichten. Dann sind wenigstens alle beteiligten Handwerker dabei und nicht nur die, die bisher zugange waren. Um mit den Nachbarn zu feiern ist ein Richtfest ok – aber auch hier würde ich dies eher am Ende der Bauphase machen. Alles in allem kann man also gut auf ein Richtfest verzichten … wenn da nur die Angst für Fusch und Schabernack der Bauarbeiter nicht wäre.
  

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