„Der Brauch geht auf rituelle Formen der Zinszahlung und der
Abgeltung von Arbeitsleistungen zurück, wie sie im Mittelalter nicht
ungewöhnlich waren. Die festlichen Zusammenkünfte, die zum Abschluss der
einzelnen Arbeiten abgehalten wurden, müssen als rechtsverbindliche symbolische
Handlungen betrachtet werden, für die der Kontakt zwischen Untertan und
Obrigkeit kennzeichnend war. …….. Im 15. und 16. Jahrhundert waren Getränke und
Speisen zum Beginn oder Ende eines Bauabschnittes zudem Teil des
Handwerkerlohns.“
„Aber ein Richtfest ist doch auch dafür da, den beteiligten
Firmen einmal Danke für die bisherige Arbeit zu sagen.“ , hörten wir gleich als
Einwand. Aha – Danke sagen also. Danke, für ein Garagenfundament was nicht
meinen Vorstellungen und dem Fundamentplan entspricht und nun noch geändert
werden muss. Danke, für x Planänderungen aufgrund von Schusselfehlern des
Planungsbüros. Danke, für Bauverzögerungen aufgrund zu eng gelegter
Lüftungsrohre – man hätte ja vorher nur mal mit dem Statiker reden müssen.
Dafür, dass wenn ich es nicht rechtzeitig gesagt hätte, der Elektriker seine
Kabel nicht in die Decke bekommen hätte ohne russisches Roulette mit den Lüftungsrohren
zu spielen. Danke, für das Bauen eines Dachüberstandes, der nicht sein soll und
nun wieder ab muss – nur weil man mit falschen, nicht genehmigten Plänen
arbeitet. …. Ihr merkt schon, ich kann mich also bisher gar nicht genug
bedanken.
„Aber Fehlen passieren doch nun einmal beim Bau, das ist
doch nicht weiter schlimm und bei fast jedem Haus so was neu gebaut wird.“ Oh,
oh .. das spricht aber nicht gerade für diese Berufsgruppe. Sorry, wenn ich
etwas bezahle, dann erwarte ich eine fehlerfreie Ausführung. Egal wo und bei
welchem Job. Fehler toleriere ich nicht. Nicht hier auf der Baustelle noch
sonst wo. Oder fändet Ihr es super, wenn die Bahn mal eben nach einem
veralteten Fahrplan fährt? Besonders toll sicher für Berufspendler. Oder findet
Ihr es toll, wenn Ihr im Restaurant statt des Steaks ein Schnitzel bekommt?
Oder wenn der Fluglotze bei seiner Arbeit schlampen würde? Oder wenn der
Chirurg statt des Blinddarms die Galle entfernt? Oder einfach auch nur der
Busfahrer vergisst an Eurer Haltestelle zu halten? Nein – das würde alles wohl
niemand akzeptieren. Warum soll man also beim Bau eine Ausnahme machen und
alles nur als "halb so wild" ansehen und sich dann noch bedanken? Mir fällt dazu
kein Grund ein. Euch?
„Und beim Richtfest kann man ja auch seine Nachbarn kennen
lernen.“ Stimmt, kann man. Kann ich aber auch so. Schließlich arbeiten wir
schon seit Wochen an unserem Garten und sind so bereits oft ins Gespräch mit
unseren Nachbarn gekommen. Mittlerweile bekommen wir wasser von einem unserer
Nachbarn bis wir eigenes anliegen haben. Zwischenzeitlich konnten wir einen
Sprenger einer Nachbarin benutzen, als unser defekt war. Nachbarschaftshilfe
halt – entstanden durch den „Plausch über den Gartenzaun“. Ich gebe aber insofern
recht, dass eine Party mit den Nachbarn und die Feier auf gute Nachbarschaft
durchaus Sinn und Spaß macht. Aber bitte … doch nicht mitten in der Bauphase.
Um den Nachbarn den Baufortschritt zu zeigen? Den kann man beim vorbei gehen
live sehen. Um den Nachbarn die Raumaufteilung zu zeigen? Schlecht möglich,
wenn die Hälfte aus Trockenbau besteht, der noch nicht gebaut ist. Warum also
nicht mit so einem Fest warten, bis wirklich was zu sehen ist? Bis man den
Nachbarn auch etwas „handfestes“ zeigen kann.
Warum haben wir also ein Richtfest gemacht? Wir hätten es ja
auch ablehnen können. Die Antwort ist ganz einfach. Im Internet findet man
viele… ganz viele Horrorgeschichten von beleidigten Bauarbeitern die ohne
Richtfest unmotiviert arbeiten und dann schludern oder sogar mit Absicht
Schikanen für die Bauherren einarbeiten. Beispiele gefällig?:
„Eine kreuzweise geschlitzte Plastikfolie im Kamin, so dass
er nie zieht.“
„Ein Sprühschlauch im Fassadenputz eingearbeitet,
unauffällig mit der Regenrinne verbunden, in Form eines weiblichen
Geschlechtsteils zum Beispiel. Um allen zu zeigen, was für eine F... du bist.
Das Bild erscheint dann bei jedem regen.“
„Wer am Richtfest spart, wird in seinem Haus nicht wirklich
wohnen können.“
„Eine, oder mehrere Flaschen, mit der Öffnung nach außen in
die Mauern eingebaut, sorgen beim leisesten Wind für wundervolle heulende und
brummende Geräusche.“
„Ein als Knauser verschrieener Bauherr wird auch von den
nachfolgenden Gewerken 'bestraft'. Die Zimmerleute sind lange weg, wenn die der
Putzer in den Feinputz pinkelt (riecht bei feuchten Wetter dann 'würzig').“
Natürlich werden die meisten Handwerker Profis sein und sich
lediglich ihren Teil denken. Aber ein kleines Restrisiko bleibt und da der Erfindungsreichtum
bekanntlich groß ist, wollten wir uns diesem Risiko einfach nicht aussetzen.
Es gab also ein Richtfest. Bereits ab 14 Uhr war ich auf der
Baustelle, um alles vorzubereiten. Da es seit den Morgenstunden durchweg
geregnet hatte, musste nun erst einmal alles drin aufgebaut werden. Die
Dachdecker hatten am Vormittag wenigstens das Dach mit einer Folie abgedeckt,
so dass es nun auch nicht mehr rein regnete. Auch hier übrigens nochmal Danke.
Danke dafür, dass die Balken bereits mehrere Tage dem Regen ausgesetzt waren
und genug Zeit hatten Wasser aufzunehmen. Warum der Dachdecker den Holzstapel
vor dem Haus nicht mit abgedeckt hat und dieser sich nun weiter voll saugen
kann, verstehe ich ebenfalls nicht. Fakt ist nur, dass unsere Dachform während
der Bauphase sehr Feuchtesensibel ist und man alles tun sollte, damit möglichst
wenig Wasser an die Bauteile kommt. Aber
was weiß ich schon – bin ja nur der Bauherr und unwissender Depp.
Alles vorbereitet - es kann los gehen. |
Wie dem auch sei. Pünktlich 16 Uhr war alles aufgebaut und
vorbereitet und der Regen hatte auch aufgehört. Nach und nach trudelten
Handwerker und Nachbarn ein. Nun konnte es losgehen. Natürlich wieder mit
Brauchtum. Als erstes wurde ein Richtkranz aufgestellt. Wozu der gut ist? Keine
Ahnung – Tradition halt. Danach sprach der Dachdecker seinen Segen. Lustig
dabei war, ich stand nur zwei Meter daneben und hab lediglich die Hälfte
verstanden. Ich glaube nicht, dass die Gäste unten mehr mitbekommen haben.
Nachdem der Dachdecker fertig war und ein Glas Sekt auf dem Boden zerdeppert
hatte – warum dieser Brauch auch immer gemacht werden muss, ich weiß es nicht-
war nun ich an der Reihe.
Drei Hanseln auf dem Dach. |
Richtspruch - auch Hillibilli genannt. |
Unkraut jetzt auch auf dem Dach! |
Nach der Tradition muss der Bauherr den letzten Nagel
einschlagen. Aha, den letzten Nagel also. Warum nur soll ich aber an einer
stelle, wo kein Nagel sinnvoll ist nun einen Nagel ins Holz kloppen? Aus
Tradition? Ich kloppe also einen Nagel ins Holz. Im Grunde wird die Statik des
Balkens damit sogar beeinträchtigt. Sicher natürlich nicht so, dass das Haus
einstürzen würde. Aber eben völlig unnötig. Warum passen die Handwerker ihre
dämlichen Traditionen nicht etwas an die modernen Gegebenheiten an? Warum
schlage ich sinnlos einen Nagel irgendwo ins Holz, anstatt an einer sinnvollen
Stelle wirklich einen Dachbalken mit einer Schraube am Haus zu befestigen? Es
ist wie beim ersten Spatenstich, der ebenso sinnlos ist, da kein Mensch mehr
mit dem Spaten ne Baugrube aushebt. Auch da hätte man anpassen können und den
Bauherren die erste Schaufel mit den Bagger baggern lassen können. Aber ich schweife
ab.
Ein völlig sinnloser Nagel. |
Nachdem der Nagel nun im Holz war und ich noch zwei, drei
Worte sagen sollte (mehr waren es wohl dann auch wirklich nicht) war das Fest
eröffnet und der gesellige Teil des Nachmittages begann. Wenigstens gab es als
kleine Entschädigung für den Richtfest Hokuspokus jetzt Geschenke von der
Familie und den Nachbarn. Von Baumarktgutscheinen, Gutscheine für Gartencenter,
Sekt, Pflanzen bis hin zum klassischen Brot und Salz waren viele schöne und
sinnvolle Sachen dabei. Dafür ein echtes Dankeschön von uns. Wir haben uns sehr
darüber gefreut. Und so kam es dann auch, dass wir uns viel mit den Nachbarn
unterhalten haben, während die Kinder (unsere und die der Nachbarn bzw.
Familie) draußen im Matsch spielten. Pünktlich zur Essenszeit kam dann auch
noch die Gulaschkanone und versorgte alle Gäste mit Linseneintopf oder
Wildgulasch, so dass wir bis in den frühen Abend auf der Baustelle verbrachten.
Ich blieb sogar noch etwas länger, da gerade als ich gehen wollte noch zwei
Nachbarsfamilien kamen, die es nicht früher geschafft hatten. So wurden noch
ein paar Bier getrunken und etwas über den Bau und die Pannen am Bau der
Nachbarn philosophiert.
Buddeln im Matsch macht Spaß. |
Pfützen ziehen Kinder magisch an. |
Welches Resümee ziehen wir jetzt aus der
Richtfestgeschichte. Ein Richtfest ist eine Sache, die aus der Vergangenheit
kommt und sehr an Traditionen hängt. Leider haben es die Handwerker versäumt
die Tradition den modernen Gegebenheiten anzupassen. Dann hätte es zumindest
mir etwas „gegeben“. Um Handwerkern
Danke zu sagen, sollte man –so finde zumindest ich- auf ein Richtfest
verzichten und lieber ein Fest am Ende der Bauzeit ausrichten. Dann sind
wenigstens alle beteiligten Handwerker dabei und nicht nur die, die bisher
zugange waren. Um mit den Nachbarn zu feiern ist ein Richtfest ok – aber auch
hier würde ich dies eher am Ende der Bauphase machen. Alles in allem kann man
also gut auf ein Richtfest verzichten … wenn da nur die Angst für Fusch und
Schabernack der Bauarbeiter nicht wäre.
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